Ronja von Rönne ist gekommen und mit ihr die koksenden Hipster, ein an sich scheiterndes Polyamorie-Quartett und eine tote Schildkröte. Das sind alles Schlagworte, die mir zu von Rönnes Debütroman “Wir kommen” am eindringlichsten in Erinnerung geblieben sind.
Über von Rönne wird seit ihrer “Die Welt”-Kolumne zum Thema (Anti-) Feminismus leidenschaftlich geurteilt und diskutiert. Warum das alles Quatsch ist, hat Margarete Stokowski gut auf den Punkt gebracht. Lassen wir den Feuilleton einmal hinter uns und widmen uns folgender Frage:
Lohnt es sich “Wir kommen” zu lesen?
Ja, durchaus. Von Rönne brilliert nicht durch ihre Eloquenz, nein, der Roman lebt von einer stimmigen Skizzierung der Gefühlslage ausgesuchter Charaktere einer Generation. Welcher? Der jetzt frisch erwachsenen Generation, zwischen 25 und 35 Jahren, die gerne auch als „Generation Y“ klassifiziert wird. Im Zusammenhang mit von Rönnes Werk möchte ich sie die „Generation antriebslos“ nennen, nicht zuletzt aufgrund solcher Zitate:
“Draußen ist soviel los. Drinnen auch, aber übersichtlicher, und wenn das auch zu viel wird, kann man das WLAN ja ausstellen”. (S.22)
Protagonistin Nora, ihr Freund Jonas, ihr Ex-Freund Karl und seine neue Freundin Leonie sind verbunden durch einen Polyamorie-Pakt. Pan-Poly-sapiosexuell ist der neueste Trend, natürlich sind da die zugezogenen Berlin-Hipster ganz vorne mit dabei.
Ich weiß nicht, warum ich mit Leuten befreundet bin, die von sich behaupten, Metawitze zu mögen. (S.26)
Arbeit nervt
Alle vier kommen aus gutbürgerlichen Elternhäusern, die Eltern sind Ärzte oder angesehene Soziologen. Arbeiten um zu leben, das gilt nicht für dieses Quartett, eher: Arbeiten um nicht an Langweile zu verenden.
“Meine Aufgabe für das Onlinemagazine war es, hip zu sein (…)” (S.96)
Nora ist eine Schauspielerin, die nur für Nachmittagsformate der Privatsender gebucht wird, sie hat an ihrem Job ebenso wenig Spaß wie die Protagonistin Luise aus Sarah Kuttners Buch “Wachstumsschmerz”. Noras Freund Jonas ist Grafikdesigner, Karl schreibt seit langem an einem Sachbuch zu Thema “Glück” und Leonie ist eine essgestörte Ernährungsberaterin. Die tief ironischen Züge, die das Buch durchziehen, werden hier deutlich: Mal ist die Kritik sehr offensichtlich, mal etwas versteckter.
„Hauptsache cool“ ist kein Musikgeschmack
Musik kommt in dem Roman an wenigen Stellen vor, sie dient als Mittel zur Abgrenzung. So wählt Nora die Musik für den Abend bei ihrer großen Party am Meer aus:
„Erst Jazz, damit bewiesen wir, dass wir Geschmack haben, dann Poptrash, damit wir beweisen, dass wir ironisch sind. Ganz spät dann Techno, damit bewiesen wir, dass wir die Neunziger immer noch nicht überwunden haben“. (S.153)
Ziemlich genauso liest sich die Zusammenstellung von jeder x-beliebigen Berliner Vernissage (mit etwas mehr Jazz-Anteil) oder Hipster-Party (etwas mehr Neunziger-Anteil).
Früher war alles besser
“Wir kommen” ist als Krankentagebuch von Nora angelegt, da diese unter nächtlichen Panikattacken leidet. “Maja” ist das erste und letzte Wort des Romans. Die Freundin aus Kindertagen bildet den Rahmen des Werkes. Dieser Erzählstrang bzw. dieses Angebot zur Erklärung der Verfassung der Protagonisten erinnert an das Erstlingswerk „Drüberleben“ von Kathrin Weßlings. Kein großer Roman kommt mindestens ohne einen Toten aus.
Lebhaftere Phasen gab es in Noras Leben, als sie als Kind und Teenager an der Seite der wilden und aus armen Verhältnissen stammenden Maja ihre Tage verbrachte. Sie erlebten Abenteuer zusammen, von denen eines einen tödlichen Ausgang für einen Beteiligten hat. “Maja ist nicht tot” lautet der erste Satz des Buches, die Erzählung lebt von den Rückblenden. Damals hat sich Nora mitziehen lassen. Erst als Klassenkamerad Karl das Leben der pubertierenden Nora trat, bewegte sich ihr Leben fortan in Zeitlupe, bevor es zum kompletten Stilstand kam. Sogar das Pflegen einer Schildkröte stellt im Jetzt eine Überforderung dar.
In der Polyamorie-Blase ist nicht alles gut, Jonas verschwindet mit Leonies 5-Jähriger Tochter Emma-Lou und bleibt mehrere Tage und Nächte weg. Der Vorwurf des Kindesmissbrauchs steht im Raum, wird aber nicht offen thematisiert, da mensch sich in dieser Viererverbindung vertraut, so die Regel.
Hippie-Kind möchte mehr Ordnung
Ronja von Rönne, die Spießerin mit den Hippie-Eltern, wie sie im “Hörbar Rust”-Interview auf radioeins sagte, weiß, wie man reale und fiktive Geschichten anlegen sollte, damit eine breite Öffentlichkeit interessiert ist. Quasi über Nacht wurde von Rönne durch ihren “Die Welt”-Artikel berühmt, sie hätte auch einen Ratgeber zu “In 15 Minuten zum deutschlandweiten Feuilleton-Fame” schreiben können. “Wir kommen” ist schnell gelesen und bildet die gutbürgerliche Mittelschicht treffend ab. Bleibt zu hoffen, das die Generation antriebslos nicht in Zeiten von IS, Brexit und wachsender sozialer Ungleichheit weiterhin in ihrer Berlin Mitte/Hamburger Schanzenviertel-Blase bleibt.
Buch ist da, geht von Rönne jetzt in Babypause?
Aber: Es gibt Hoffnung. Ronja von Rönne hat die Annahme des Axel-Springer-Preises verweigert, da sie nicht für ihren Antifeminismus-Text ausgezeichnet werden wollte. Besser eine späte Erkenntnis als nie. Eigen-PR liegt der gebürtigen Oberbayerin im Blut, ich bin gespannt, ob es so spannend mit ihr und ihrem Schaffen weitergeht. Oder ob jetzt erstmal die vage angekündigte Babypause kommt? Aber auch die Baby-Pause würde Ronja von Rönne mit Leichtigkeit in ein PR-Spektakel verwandeln. Vielleicht gäbe es dann einen bissigen Roman über die Mitte-Muttis. Ich sehe jetzt schon die aufgebrachten Mutti-Bloggerin – auch das wird ein Spaß. Selten habe ich jemenschen erlebt, der so intuitiv im kakophonen Mediendschungel auf sich aufmerksam macht.