SundaySong: Christiane Rösinger – Lob der stumpfen Arbeit

Ja, ja, ja – genauso ist das Leben, möchte ich nach beinahe jedem Song von „Lieder ohne Leiden“, der aktuellen Platte von Christiane Rösinger laut ausrufen. Auf diesem Werk befindet sich auch „Lob der stumpfen Arbeit“. Das Lied ist seit Monaten einer meiner Ohrwürmer und Herzenssongs. Und jetzt ist es mein leicht verspäteter SundaySong an einem sommerlichen Donnerstag.

Einblicke in die Künstlerinnenseele

Die Musikerin scheint sich selbst und einigen anderen direkt in die Seele geschaut zu haben. Aus diesen Momentaufnahmen der prekären Gesamtsituation hat Rösinger neun wunderbare Songs erschaffen. Ein Skizzenbuch des sich in der Gentrifizierung befindenden und durch Raubtierkapitalismus gezeichneten Berlin. Rendite statt RIOT oder, frei nach Rösinger:
Alles Essig, alles Mist, wenn du kein Erbe kriegst.

Der Fluch dieser Tage ist die kreative Plage

„Lob der stumpfen Arbeit“ ist einer der Hits, neben z.B. „Joy Of Ageing“ und „Eigentumswohnung“. In dem Songe beschreibt Rösinger ein urbanes Milieu, in dem viele ihre kreative Seite verwirklichen wollen und am Ende des Monats feststellen: Kreative Arbeit wird schlecht bis gar nicht entlohnt.
Zum Beispiel sind viele Texter*innen, Sänger*innen, Menschen an Theatern sich stetig am selbstausbeuten und/oder Networken. Die Grande Dame des Indie-Chansons kehrt dieser Art von Arbeitsverhältnissen den Rücken zu:

Müde all des Geschwätzes
Such ich was Handfestes
Statt `ne neue Platte
Pflanz ich Blumenrabatte

Arbeit ist nicht gleich Arbeit

Recht hat sie: Die sogenannten „Kreativen Berufe“ erschaffen Werte, die schwerer zu erfassen sind, als bediente Kunden (die „Average Handling Time“ pro Anruf war der wichtige Wert während meiner Zeit im Callcenter), verkaufte Eigentumswohnungen oder reparierte Autos. Was ist eine gute Headline, was ist ein guter Song und wie werden diese Leistungen adäquat entlohnt?

„Den Markt bedienen, Ohne was zu verdienen –
sich selbst ausbeuten, und das noch mit Freuden“

Vermutlich verdient auch jede Börsenhändlerin mehr als jede Autorin. Gieße dein Werk in Zahlen und verkaufe damit deine vermeintlich bezifferbare Arbeitsleitung, könnte ein Tipp lauten. Oder mache Geld mit Geld. Wieviel ist ein berührendes Gedicht oder aufmunternder Song wert? Unbezahlbar – oder auch nichts.

Warum wird kreative, geistige Arbeit schlecht entlohnt?

„Jeder kann lesen und schreiben“ wurde mir mal gesagt und gemeint war: „Sie mit Ihren Fähigkeiten sind schnell ersetzbar“. Ich arbeite im Kommunikationsbereich, habe zwei Studienabschlüsse, verfasse Texte und entwickle Kommunikationsstrategien. Ob es da reicht, nur Lesen und Schreiben zu können?

Frau, kreativ, unterbezahlt

Vielleicht werden kreative Jobs auch nicht gut entlohnt, da folgender Gedanke gesellschaftlich mitschwingt: Die Person macht, was ihr gefällt, sie braucht also kein extra Schmerzensgeld (= guter Lohn).
Und wenn man dann noch eine Frau ist, wird alles noch schwieriger, wie die Britta-Sängerin in einem Interview mit der zitty sagt:
„(…) Und ich hatte nach 30 Jahren die Einsicht, dass ich mit dem, was ich mache, nie soviel Beachtung finden werde wie ein Mann.“

Artikel schreiben, konnte ich nie leiden

Ein weiteres Problem ist es, dass die Kreativen keine gemeinsame Interessenvertretung haben. Ihre Rechte und Anliegen, zumal oft als Freiberufler ohne Urlaubs- und Krankensgeld sowie Wochenendzuschlägen etc. arbeitend, werden nicht vertreten. Der große neue Arbeitsbereich des Web 2.0 wird nicht durch Tarifverträge der Gewerkschaften erfasst. Da Gewerkschafter*innen ähnlich gut wie Beamt*innen verdienen und ebenso schnell arbeiten, wird das wohl auch noch dauern.

Der Christiane Rösinger Lösungsansatz

Sie besingt das Pflanzen von Blumenrabatten, warum auch nicht. Ich sehne mich ebenfalls nach Arbeit, deren Fortgang man sieht und im besten Falle noch riechen oder schmecken kann. Und nach einem Rahmen, in dem meine kreative Arbeit wertgeschätzt wird. Ja, immer wenn es im Büro wieder stressig und ungerecht zugeht, wünsche ich mir ein Stück Land am Meer, wo ich Kartoffeln ziehe und heimatlosen Tieren ein neues zu Hause gebe.
Das wird aber noch dauern, da ich nichts erben werde und keine Verwandten in der Mittelschicht habe, die mich unterstützen. #nowhitetears

Veranstaltungstip

Am kommenden Samstag, den 20.05., liest Christiane Rösinger bei der 19. Langen Buchnacht auf der Oranienstraße in Berlin. „Zukunft machen wir später: Meine Deutschstunden mit Geflüchteten“ so lautet der Titel ihres neuen Buches. Rösinger ist um 19.00 Uhr dran und um 21.00 Uhr präsentiert Fatma Aydemir ihren Debütroman „Ellbogen“. Das Buch lese ich gerade und finde es ziemlich großartig.
Der Eintritt für die Lesungen ist frei.

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