Koks und Kotze – Stuckrad-Barres „Panikherz“ wird am Berliner Ensemble aufgeführt

„Panikherz“ wird am Berliner Ensemble aufgeführt. Mit „Panikherz“ hat Benjamin von Stuckrad-Barre ein echtes Cher-Comeback hingelegt. Der Ex-Vorzeige-Kokser hat ein Buch über sein Leben inklusive kometenhaften (Berufs-) Aufstieg und tiefem Fall samt Bankrott geschrieben. Die Rettung des Pop-Literaten erfolgte bekanntermaßen durch Udo Lindenberg. 2016 gelangte „Panikherz“ an die Spitze der SPIEGEL-Bestsellerliste, am heutigen Samstag feiert das Stück Premiere am Berliner Ensemble.

Gelingt die Übersetzung von Buch zu Theaterstück?

Regisseur Oliver Reese hat aus den 576 Seiten des autobiographischen Romans eine 135-minütigen Bühnenfassung erarbeitet. Wie bringt man innere Prozesse wie Rauschzustände und den ewig währenden Kampf mit dem inneren Kritiker auf die Bühne? Die erste öffentliche Voraufführung fand am Valentinstag, drei Tage vor der Uraufführung am 17. Februar, statt.

Foto: v.l. Carina Zichner, Laurence Rupp, Nico Holonics, Bettina Hoppe, Copyright: Julian Röder, Berliner Ensemble

Benjamin ist Viele, insgesamt vier

Von Stuckrad-Barre wird von vier Schauspieler*innen verkörpert: Zwei biologische Männern und zwei biologische Frauen spielen den Literaten. Fliegend wechseln sie sich ab, sind mal er, mal Personen die er trifft wie zum Beispiel Udo Lindenberg oder Rolling Stone-Redakteur Christoph.
Carina Zichner spielt Teenie-Ben und hat von Stuckrad-Barres gleichermaßen schlaksigen wie hibbeligen Bewegungen sehr genau studiert. Den in der Suchtspirale Gefangenen spielt Zichner großartig. Da werden Wörter immer wieder wiederholt, umgeformt, ausgespuckt. Da wird aus „Buscopan“, „Bus fahren, Bus fahren, Bus fahren“. Laurence Rupp gibt primär den Party-Ben, der seine erste Ecstasy-Tablette nimmt und oben ohne enthemmt tanzt. Er ist die personifizierte adolescente Energie, die bis heute in den von Stuckrad-Barre und mir so geliebten Oasis-Songs steckt.

Säckeweise Koks, alles andere muss aus dem Körper raus

Koksen und Kotzen, Kotzen und Koksen – diese bulimische Koks-Phase wird von Nico Holonics eindrücklich dargestellt. Zu Beginn des Stücks sitzt er nur an der Bar, die sich mittig hinten auf der Bühne befindet. Sie ist der optische Fluchtpunkt wie der Altar in der Kirche. Holonics spielt auch den Benjamin, der sichtlich von der Sucht gezeichnet und komplett abgebrannt, im Hotel vor sich hin vegetiert.  Er wird von seinem „Pastorenbruder“ abgeholt und in die bereits dritte Suchtklinik gebracht.
Bettina Hippe, hält den Eröffnungsmonolog und ist eine von den immer anwesenden Stimmen im Kopf des Autors.

Foto: v.l. Carina Zichner, Laurence Rupp, Bettina Hoppe, Copyright: Julian Röder, Berliner Ensemble

Bruch mit den Sehgewohnheiten

Dass androgyn aussehende Frauen jeweils einen der vielen Benjamine spielen, macht Sinn und passt sehr gut. Die beiden Schauspielerinnen sind sehr intensiv in ihrem Spiel. Beide sind eine gute Wahl für die Rollen. Ein Bruch mit den stereotypen Sehgewohnheiten tut gut. Hätte es sie nicht gegeben, wäre es eine Bühnenfassung von einem Mann, über einen Mann, gespielt durch Männer und musikalisch begleitet von Männer. Gut, dass das nicht passiert ist.

Songs von Oasis, Rammstein und immer wieder Udo Lindenberg

Da Musik ein wichtiges, strukturgebendes Element in vielen von Stuckimans Büchern ist, ist sie auch bei der Bühnenversion von „Panikherz“ zu finden. Eine fünfköpfige Live-Band spielte u.a. „Don`t Look Back in Anger“ von Oasis oder „Asche zu Asche“ von Rammstein. Lieder und Liederfragmente von Udo Lindenberg werden als Kommentarfunktion, ähnlich dem Chor im griechischen Drama, eingesetzt.

Kalter Champagner oder eher warmes Bier – Lohnt sich der Besuch von „Panikherz“?

Vorfreude auf die Uraufführung

Die Manie und Egonzentrik, die eine Drogensucht begünstigen und auch Teil dieser Suchtspirale sind, haben alle vier Schauspieler*innen sehr gut dargestellt. Die Musik wurde wohldosiert (nicht überdosiert!) eingesetzt. Die markanten Szenen des Buches, Stichwort „Stehlampe“ oder auch „letztes Bier im Zug“, wurden von Oliver Reese aufgegriffen und in die Bühnenfassung eingearbeitet. Nicht nur Stuckrad-Barre macht nächtliche Freudensprünge vor dem BE, wie man in seiner aktuellen Insta-Story sehen kann.

Ein Besuch lohnt, die nächsten Spieltermine sind auf der Seite vom Berliner Ensemble zu finden. Wer mehr von Stuckrad-Barre lesen möchte: Am 8.3. erscheint sein neues Buch „Ich glaub, mir geht’s nicht so gut, ich muss mich mal irgendwo hinlegen“.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert