Lily Allen hat schwere Zeiten hinter sich: Scheidung, Alkohol- und Drogenmissbrauch, Einsamkeit – und die britische Regenbogenpresse lauert auch nach 12 Jahren auf jeden noch so kleinen Ausrutscher. Jetzt ist „No Shame“, der fünfte Longplayer, unserer liebsten Fuck you very much-Britin erschienen.
Was beim ersten Hören direkt auffällt: Die Platte ist sehr entspannt und teilweise reduziert, nur drei der 14 Tracks sind etwas schneller. Lily nimmt sich Zeit, die „Hard Out Here“- und „Smile“-Zeiten mit catchy Hooks sind vorerst vorbei. Aber ihre Vorliebe für karibische Klängen behält sie bei.
Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm
Die Mutter von zwei Töchtern hat eine glasklare Stimme, die über Albumlänge trägt. In „Three“ singt sie über die Sorge, als berufstätige Frau nur unzureichend ihren Aufgaben als Mutter nachkommen zu können. Ein Piano reicht, um die Sachlage höchst emotional zu vertonen. Ebenfalls minimalistisch ist „Apples“ aufgebaut, dort wird Lily nur von einer Gitarre begleitet. Die Redewendung „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“ bezieht sich in diesem Fall auf die Art, wie Lily ihre Beziehungen führt und wie ihre Eltern ihre Beziehungen geführt haben. In beiden Fällen endete die Ehe mit einer Scheidung. Die Scheidung von Sam Cooper wird auf „No Shame“ von vielen Seiten betrachtet. In „What You Waiting For?“ singt die Londonerin, dass sie einen starken Mann in die Knie gezwungen hat. Ein Lied später, in „Your Choice“, klingt es dann schon wieder anders. Dort überlässt Lily ihrem Ex-Mann die Entscheidung, die Beziehung zu beenden.
Chaos im Kopf
Wie verwirrend und verletzend Trennungen sind, besingt Allen in „Lost My Mind“. Im Video zur dritten Single aus „No Shame“ sieht man, wie Lily im Schlafzimmer die Orientierung verliert, und die Wände zum Boden werden. Alles steht sprichwörtlich Kopf. Dazu trägt sie einen sehr hübschen und auffälligen Schlafanzug, in dem sie gegen Ende des Videos auch im Zimmer traurig einregnet.
Um das Chaos im Kopf geordnet zu bekommen und Emotionen abzudämpfen, hat die Sängerin sich durch verschiedene Arten von Rauschmitteln probiert. Ihre letzte Tour absolvierte sie nahezu durchgängig betrunken, wie sie in einem Interview mit dem GQ-Magazin erzählte. In „Trigger Bangs (feat. Giggs)“ singt sie:
I would wake up next to strangers
Everyone knows what cocaine does
Später in „Everything to Feel Something“ wird die „Not Fair“-Sängerin noch konkreter:
I’ve tried everything
Everything
To feel something (…)
From up and down, and down to up
Sex, alcohol and drugs
Sie geht in die Offensive und benennt ihre Erfahrungen der letzten Jahre. Die britische Klatschpresse ist stets zur Stelle und mikroskopierte das Leben der Engländerin: Von total betrunkenen Momenten, über ihre Fehlgeburten bis hin zu Auftritten ohne Unterwäsche. Ich mochte schon immer das Unverstellte und Aufmüpfige von Lily. Und ihren Street Style. Und ihre eigenen Songs sowie ihre großartige Art, Songs zu covern.
No Shame – Männer auf der ganzen Welt antesten
Mit einem Augenzwinkern und über sleazy Beats berichtet uns Lily von ihrer weltweiten Suche nach dem Richtigen, „My One“. Bevor es die Daily Mail aufdeckt, stellt sie direkt klar, dass sie mit halb Paris geschlafen hat und in Vancouver einen Loser ins Uber gesetzt hat. Mich hat der Song sehr gut unterhalten und ich würde zu der Up-Tempo-Nummer sofort tanzen.
Mit „No Shame“ hat uns Lily Allen gezeigt, wie ihr Seelenleben aktuell aussieht und was sie in den letzten knapp vier Jahren erlebt hat. Der dezente Sound steht ihr gut. Danke für deine Offenheit und pass` auf dich auf! Vielleicht sehen wir uns live im Dezember wieder, wenn du in Berlin auftrittst.