Er ist der Über-Held aller Heldinnen und Helden, hatte vor Harry Potter den Blitz im Gesicht und einen Vinyl-Anzug, der durch keine Superheldenrobe in Extravaganz zu toppen ist.
David Bowie wird von meinen Heldinnen und Helden ikonisch verehrt, er ist gleichermaßen Inspiration für Lady Gaga und Brian Molko, für Madonna, Boy George oder Tilda Swinton. Sogar L.A.-Immigrant Bill Kaulitz, Jahrgang 1989, gibt „Die Reise ins Labyrinth“ als einen seiner absoluten Lieblingsfilme an. Wenn wir ehrlich sind, gibt es kaum einen Künstler, der oder die David Bowie nicht als Vorbild angibt oder sich früher oder später auf ihn beruft. Am 10. Januar 2016 ist der universal Gebildete und Agierende in Manhatten verstorben.
Bowie war Pionier, Entdecker und Dandy – er überschritt stilsicher Grenzen, er ist der große Meister des visuellen Mash-Ups, das Chamäleon der Popkultur.
Vermutlich hatte er mehr Looks und Phasen als Madonna.
Mehr als nur Oberfläche
Lady Gaga spricht 2010 vor dem Weißen Haus um sich für die Gleichstellung von Schwulen und Lesben stark zu machen, David Bowie outete sich 1972 als schwul. Damals war es ein großes Wagnis, für Bowie war es vermutlich in erster Linie eine Solidaritätsbekundung, er lebte überwiegend in heterosexuellen Beziehungen. Zuletzt war er mit Model Iman verheiratet. Es ist aber auch bekannt, dass der Musiker mit Iggy Pop und Romy Haag liiert war. Pop und Bowie lebten in einer gemeinsamen Wohnung in der Hauptstraße 155 in Berlin und es ist überliefert, dass der drahtige Punkrocker dem mondänen Briten gerne die exquisiten KaDeWe-Leckereien aus dem Kühlschrank stibitzte. Um weitere, noch größere Konflikte zu vermeiden, musste Iggy Pop in eine kleinere Wohnungen im selben Gebäudekomplex ziehen. Getrennte Kassen, oder auch Kühlschränke, erhalten den Hausfrieden – und die Liebe?!
Held für Generationen von queeren Menschen
Der Hobbymaler mischte sich nicht allzu offensiv in den gesellschaftlichen Diskurs ein, wie es Scheinwerferjunkies wie Bono oder Bob Geldof regelmäßig tun. Bowie engagierte sich für verschiedene Anliegen wie „Keep a child alive“ oder „Every mother counts“.
In meinen Augen liegt einer seiner größten Verdienste darin, dass er als einer der Ersten Begriffe wie „gender fluid“ auslebte, ihnen durch seine künstlerischen Metamormophsen eine körperliche Gestalt gab. Sein Körper war lebendiger Organismus, wie auch Leinwand und plastisches Forschungsobjekt. Eine Vermutung ist, dass Bowie mit seinen Outfits und seinem Make-Up mehreren hunderttausend, vorwiegend schwulen jungen Männern, sowie queeren Teenagern Mut gemacht hat. Er war die Alternative zu all den heteronormativen Identifikationsangeboten.
Der Tribute-Auftritt von Lady Gaga bei den Grammys Bowies zu Ehren hat kontroverse Reaktionen hervorgerufen. Auch Bowies Sohn Duncan Jones twitterte dazu:
Lady Gaga hat einen richtig guten Job in meinen Augen gemacht, ohne wenn und aber. Sie ist eines der wenigen Wesen im Pop-Kosmos, das ein ähnliches Konzept wie der Meister selbst verfolgt. Sie erobert neue Grenzgebiete, schafft Verlinkungen von Altem und Neuem, ist eine Meisterin des kulturellen Samplings und dabei ist ebenso furchtlos wie der „Hero“ selbst.
Look up here, I’m in heaven
Um von Bowie Abschied zu nehmen, ging auch ich zur Hauptstr. 155 in Schöneberg und legte Rosen nieder. Eine interessante Mischung aus Fan Art, wie Zeichnungen und Gedichten, angebrochene alkoholische Getränke aller Art und einem Meer von Blumen lagen vor dem Eingang zu dem Haus, in dem Bowie und Pop in den 1970er Jahren lebten. Es war ein bewegender Moment zu sehen, wie sehr und wie viele Menschen der Musiker bewegt. Mir wurde noch einmal nachdrücklich klar, dass Bowie mich seit Kindesbeinen an begleitet. Zuletzt verbrachte ich meinen Geburtstag 2014 in der David Bowie-Ausstellung im Martin-Gropius-Bau und hatte einen wirklich schönen Tag.
Mit einem beklommenen Gefühl ging ich von der Hauptstraße aus nach Hause.
Hey hey my my Rock`n`Roll will never die
Die heutige Popkultur wäre so ohne David Bowie nicht denkbar. Was man von ihm lernen kann? Interdisziplinäres Denken lässt interessante, ganz neue Mischungen entstehen. Mut zu Make-Up und zu neuen Verknüpfungen lohnt sich.
Eine weitere, gar historische, Lektion kann man von David Bowie lernen: Berlin war vor über 40 Jahren ein guter Ort, um clean zu werden und sich zu erden bzw. neue Kreativität zu entwickeln. Auch heute noch ist die Hauptstadt ein Mekka für Künstlerinnen und Idealisten, ob Berlin aber der richtige Ort zum clean werden ist, daran habe ich meine Zweifel. West-Berlin ist keine Insel mehr.
Der Bowie-Weg
Einwenig mehr Extravaganz können wir alle wagen: Nicht immer nur schwarz tragen, nicht schon am Anfang des Abends die Partykosten für die ganze Nacht überschlagen, nicht uns heute schon ums Übermorgen sorgen. Große Ideen müssen nicht von kleinen Gemütern wie Kollegen klein geredet werden. David Bowie war auch der Pfau im (Berliner) Taubenschlag. Nicht alle Dinge, die auf den ersten Blick unmöglich erscheinen sind unmöglich. Wenn es im nächsten Meeting, der Uni oder im Supermarkt nicht ganz so gut läuft, einfach den Bowie machen: Heller scheinen als der piefige Rest! Den Mut haben, etwas zu sagen. Sich zu sich selbst bekennen.
We could be Bowie for one day or for forever.
Und auch Bowie hat seine künstlerische Entwicklung nicht in einem Jahr vollzogen und abgeschlossen. Wir befinden uns in einem Prozess, zu dem Freude und Wachstumsschmerzen gleichermaßen gehören.