Flake: Heute hat die Welt Geburtstag – Eine Buchkritik

Wie geht es bei Rammstein vor den Shows im Backstagebereich zu? Wie ist es, auf der Bühne von Till Lindemann in einen Kochtopf getrieben und vor aller Augen „gekocht“ zu werden? Welches Deo sucht der Keyboarder auf der ganzen Welt? Das alles können wir in „Heute hat die Welt Geburtstag“, dem zweiten Buch von Keyboarder Christian „Flake“ Lorenz, nachlesen.

Worum geht es in dem Buch?

Es ist die Autobiographie des Musiker, die er in zwei Erzählsträngen verfasst hat. Zum einen begleiten wir den „Tastenficker“, so der Titel seines ersten Buches, durch ein komplettes Konzert: Vom Weg zur Halle bis zur Party danach. Zum anderen philosophiert Flake über seine Jugend in der DDR, die aufkeimende Liebe zur Musik und den Frauen sowie über das Dasein als Teil der weltweit bekannten und gut gebuchten Band Rammstein.

TV Tipp aus der taz zu dem Konzert „Rammstein Paris“.

Zwischen Pechvogel und Publikumsliebling

Zugegeben, wenn auf 3Sat oder arte Konzerte von Rammstein gezeigt werden, schalte ich ein oder streame sie nach. Ich bin immer wieder fasziniert von der Monotonie der Musik und der Opulenz der Show. Das Konzept der Band ist gleichermaßen kompromisslos und einzigartig. Der Fokus ist stets auf Sänger Till Lindemann gerichtet. Der über-maskuline Muskelprotz mit dem rollenden R hat einen Antagonisten auf der Bühne, den langen und schmächtigen Flake. Backstage teilen sich die beiden eine Garderobe, wie wir im Buch erfahren.

Backstage bei Rammstein

Flake gibt Einblicke hinter die berühmten Kulissen. Wir erfahren, dass sich Rammstein nicht etwa mit Theaterschminke oder Kohle sondern mit löslichem Kaffee ihre Körper auf Bühnenbraun schminken. Nur Flake musste damit aufhören, da er das viele Koffein, das er über die Haut aufnahm, nicht gut vertrug. Generell verträgt Flake Vieles nicht gut.
Er schreibt: „Mir wird leider von fast allen Sachen schlecht.“
Er verträgt keine kalten Getränke und auch Fliegen war lange Zeit ein Problem.

Anders scheint es bei Lindemann zu sein. Die beiden kennen sich seit Jahrzehnten, seit Flakes Zeit als Bandmitglied von „Feeling B“, die Lindemann sehr gern hörte. Zum Warmmachen und/oder zum Aggressionsabbau verdrischt der Sänger eine Boxpuppe: „Schon verschwindet Till im Bad, um Sport zu machen. Da steht so ein Oberkörper mit Kopf, den man verprügeln kann. (…) Till hat den Mann schon so verdroschen, dass der Hals gebrochen ist. Bricht ein echter Hals genauso schnell?“
Solche Passagen dienen natürlich der Mythenbildung und -erhaltung.
Während Flake sein gekühltes Wasser warm werden lässt, verteilt Lindemann Wodka und Sekt an die Backstage-Gäste, unter denen sich auch viele hübsche Frauen tummeln. „Das Klo ist aber besetzt (…). Jedenfalls sind die Türen verriegelt, und ich höre es nur Kichern und Schniefen.“
Als ich beim Konzert von Marilyn Manson war, stand Lindemann links neben der Bühne und wurde von rund einem Dutzend Frauen umschwärmt. Die sechs Musiker von Rammstein leben den stereotypen Rockstar-Traum mit Sex, Drugs und Rock & Roll. „Wir haben schon alle unsere Kollegen beim Sex erlebt.“

Flake ist Teil des Systems und Beobachter

Seine Beobachtungen und Fragen sind präzise und unterhaltsam:
„Warum kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich bei uns in der Garderobe eher die kriminielle Prominenz einer Stadt versammelt? Sind das die Einzigen, die auf unsere Musik stehen?“
Wie wohl die anderen auf solche Absätze reagiert haben? Einige der Fans, die der Band lange und intensiv nachreisen erkennt der Keyboarder auch wieder. Mit ihren Demotapes weiß er hingehen eher wenig anzufangen.

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Fazit: Flake Flop oder Top?

„Heute hat die Welt Geburtstag“ hat mich beim Lesen sehr gut unterhalten. Wie schon viele Musiker vor ihm, beschreibt Lorenz das Leben auf Tour als einzig langes Warten. Gerne bin ich mit Flake durch die teils öde, teils interessanten Regionen um die Konzerthallen auf der ganzen Welt gestreift. Bei den Konzertmitschnitten und Interviews monopolisiert Till Lindemann die Aufmerksamkeit. Im Buch geht es um den zeitweise äußerst verkopften Keyboarder, der seine Kinder am liebsten nach seinem Lieblingsdeo „Brut“, nämlich Brut und Bruta benannt hätte.
Ich konnte das Buch kaum weglegen, schließlich wollte ich wissen, in welchem Gedankengang sich Flake als nächstes verlieren wird. Ja, er ist ein weißer „Halbopa„, aber Sätze wie „Dann verliebte ich mich in PJ Harvey, in ihre Gitarristin oder in den Sänger von Placebo, das weiß ich nicht mehr so genau“ zeigen, dass Flake in keinem ausschließlich männlich-heterosexuellen Weltbild feststeckt.
Kurz: „Heute hat die Welt Geburstag“ zu lesen war eine Top- und keine Flopentscheidung.

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