Dig me out
„Weißt du noch damals, in deinem Kinderzimmer, als du mir die `Dig me out` wie einen Schatz rübergereicht hast?“, an diesen Moment erinnern sich Randale A und ich beide gern zurück. Sleater-Kinney war eine der ersten, wenn nicht gar die erste Band in unserem Kosmos, die offen über lesbische Liebe und lesbisches Begehren gesungen hat. If I buy her candy, will she know who I am? Warum unsere Party „Queers and Guitar“ heißt, brauche ich nicht weiter ausführen, oder?
Damals gab es in Bielefeld genau eine eher schwul als lesbische Kneipe, die für Schüler*innen zu teuer war. Die gesamte Karte dort war nach Lindenstraßen-Charakteren benannt: „Ein Toast Carsten Flöter, bitte“ (= ein Toast Hawaii). „Macht 10 Mark, (optional) bitte“.
Ballad of a ladyman
Carrie, Corin und Janet hatten und haben diese einzigartige Energie und Spielfreude, die meinem getriebenen Teenie-Ich sehr entsprachen und meinem jetzigen-Ich noch entsprechen. Nein, ich war nie eine große Freundin von Balladen und Sleater-Kinney haben so gut wie keine geschrieben. Perfect match. Sollen doch die anderen Babes ihre Tränen öffentlich trocknen und auf der Skihütte gebrochene Herzen besingen.
Natürlich fuhr mich mein Papa an einem Freitagabend zum Konzert ins Forum Enger – einem sehr guten Auftritt des Trios und meinem ersten Hörsturz entgegen. Noch heute habe ich die Setlist, eine Veranstaltungsankündigung aus der „Ultimo“, ein Plektrum und einige Fotos von dem Gig.
A New Wave
Zurück ins Heute: „No Cities To Love“ ist ein umwerfendes Album, ich möchte stetig die geballte Faust gen Himmel strecken -oder tanzen. Pure Energie, Leidenschaften, Spielfreude und Schmerz verbinden sich auf dem Werk. Was sich nicht sofort erschließt wird ab dem dritten bis vierten Hören glänzen und innere Feuerwerke zünden, das versichere ich.
Start together
Nach Monaten des Wartens und einem „Big day“-Countdown auf meinem Smartphone war er endlich da: Sleater-Kinney day. Aufstehen, den halben Tag arbeiten, dann Randale A vom Zoo abholen, die Gute drücken und weiter zur Halle. Wir waren um 16 Uhr die ersten (!!) – außer Jenni, einer wirklich freundlichen Finnin. Sofort kamen wir ins Gespräch und tranken einen Sekt auf S-K. Für Jenni sollte es das erste S-K Konzert in ihrem Leben werden, weitere Auftritte in Amsterdam und Paris sollten folgen.
Well every day I throw a little party – Tanzen mit Sleater-Kinney
Besonders gut: Bei „I wanna be your Joey Ramone“ sangen sie in Berlin „I wanna be your Kim Gordon“. In your face.
Carries Kleid fand ich nicht ganz so hübsch, Miss O. meinte, es sei ziemlich teuer und Lily Allen habe genau dasselbe getragen. Wie auch immer: Carries Gestik und Mimik waren kraftvoll; das typische Carrie-Beinchen und das vor-den-Kopf-hauen. Oh, sie hatte wirklich dunkel Augen (siehe One More Hour). Erst nach dem dritten Song durften die Fotografen in den Graben. Über Carries Angstzustände konnte man einiges Lesen und vor diesem Hintergrund merkte man auch, dass Corin Carrie die ersten Songs über sichtlich mütterlich unterstütze, immer wieder zu ihr herüber schaute und sie aufmunternd anlächelte.
Fanglass
Als sie zur Zugabe wieder auf die Bühne kamen, fasste ich mir ans Herz und reichte Carrie mein Geschenk, das Randale A und ich vorher äußerst liebevoll eingepackt hatten. Die Gitarristin nahm es sofort an, drapierte es neben dem Verstärker und bedankte sich etwas schüchtern.Die Band verfasste einen charmanten und tollen facebook-Post zu dem Präsent, den wir ganz aufgeregt um kurz vor zwei Uhr nachts lasen.
Die Setlist von Mi, 18.03.15, erstes Europakonzert von Sleater-Kinney nach der großen Pause, zufällig in Berlin:
- Price Tag
- Fangless
- Start Together
- Oh!
- Surface Envy
- No Anthems
- Ironclad
- Get Up
- What’s Mine Is Yours
- Light Rail Coyote
- No Cities to Love
- One Beat
- A New Wave
- Words and Guitar
- Sympathy
- Bury Our Friends
- Entertain
- JumpersEncore:
- Gimme Love
- I Wanna Be Your Joey Ramone
- One More Hour
- Modern Girl
- Dig Me Out
I wanna be your Kim Gordon
Bei Sleater-Kinney geht es auch nach mehr als einer Dekade um Freundschaft und Vertrauen. Drei Frauen sind durch dick und dünn – und zeitweise ihrer eigenen Wege gegangen. Jetzt spielen sie wieder unvergleichlich gut zusammen.
Ja, Sleater-Kinney sind Vorbilder für mich: Freund- und Leidenschaft, die Idee des Feminismus sowie Solidarität verbindet sie in meinem Augen.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass „Queers and Guitar“ meine eigene Version von S-K sind. Der Besuch von Randale A hatte keine Längen oder angespannte Situationen, es war vollkommen natürlich sie so nah an mir bzw. bei uns zu haben. Bei einer solchen Freundschaft wie der unsrigen fremdelt man nicht, hat sich eine Menge zu erzählen, kann sich offen begegnen und viel zusammen lachen. Ja, mir fehlen einige von meinen Herzensmenschen, die mittlerweile in ganz Deutschland verstreut sind.
Energie für die nächsten Tage, Wochen und vielleicht sogar Monate habe ich bei diesem Konzert sammeln können. Die Sleater-Kinney Reunion hat mich noch einmal an meine Rebel girl-Jugend zurückdenken lassen und ich werde wieder einmal weniger vergessen, wo ich herkomme und ich wo ich hin will. Fight`s over but I`ll fight on.
Ein Bonus-Feature oder auch SUPER P.S.:
Hier noch „Words and Guitar“ inkl. frenetischem Gejubel von Miss O., Randale A und mir: