Mein Wiedersehen mit Sleater-Kinney

Dieser Text erschien am 29. März 2015 auf meinem Vorgänger-Blog „Big mouth – Nina strikes again“. Damals nannte ich Olga noch Miss O. im Netz.
Sleater-Kinney-Collage
Exhume our idols – Sleater-Kinney sind wieder zurück, dass war die Nachricht des Herbstes 2014.In mir vermischte sich Vorfreude mit Angst, denn wir alle kennen verunglückte Comebacks. B. durfte die Platte aus beruflichen Gründen vorhören und fand sie solide. Sie war nicht überschwänglich begeistert, aber so ein Typ ist B. im Allgemeinen nicht.
Ich ließ mich also überraschen, fand die Vorabsingle „Bury our friends“ verschroben, ambitioniert und inspiriert, aber nicht auf Anhieb eingängig, trotz jahrzehntelangem Sleater-Kinney-Hörens. Eingängigkeit war bisher auch kein Attribut, das den S-K Sound treffend beschreibt.

Dig me out

„Weißt du noch damals, in deinem Kinderzimmer, als du mir die `Dig me out` wie einen Schatz rübergereicht hast?“, an diesen Moment erinnern sich Randale A und ich beide gern zurück. Sleater-Kinney war eine der ersten, wenn nicht gar die erste Band in unserem Kosmos, die offen über lesbische Liebe und lesbisches Begehren gesungen hat. If I buy her candy, will she know who I am? Warum unsere Party „Queers and Guitar“ heißt, brauche ich nicht weiter ausführen, oder?

Damals gab es in Bielefeld genau eine eher schwul als lesbische Kneipe, die für Schüler*innen zu teuer war. Die gesamte Karte dort war nach Lindenstraßen-Charakteren benannt: „Ein Toast Carsten Flöter, bitte“ (= ein Toast Hawaii). „Macht 10 Mark, (optional) bitte“.

Wir waren nicht ganz so abgeschnitten wie Beth Ditto in Judsonia, Arkansas, aber fast.

Ballad of a ladyman

Carrie, Corin und Janet hatten und haben diese einzigartige Energie und Spielfreude, die meinem getriebenen Teenie-Ich sehr entsprachen und meinem jetzigen-Ich noch entsprechen. Nein, ich war nie eine große Freundin von Balladen und Sleater-Kinney haben so gut wie keine geschrieben. Perfect match. Sollen doch die anderen Babes ihre Tränen öffentlich trocknen und auf der Skihütte gebrochene Herzen besingen.

Reliquien aus dem letzten Jahrhundert.

Natürlich fuhr mich mein Papa an einem Freitagabend zum Konzert ins Forum Enger – einem sehr guten Auftritt des Trios und meinem ersten Hörsturz entgegen. Noch heute habe ich die Setlist, eine Veranstaltungsankündigung aus der „Ultimo“, ein Plektrum und einige Fotos von dem Gig.

Ich war mit 15 mit Abstand die Jüngste in dem kleinen Keller und war elektrisiert von der Energie der Band. Selbstverständlich ließ ich mir die „Dig me out“ unterschreiben. Corin und Carrie begleiteten mich bis zum Abitur, neben Shirley Manson und Daniel Johns in Form von kleinen Bildern, in meinem Schreibmäppchen.
In unserem Gästezimmer hängt noch heute das 1997er „Dig me out“-Tourposter (siehe Bild oben). Ich habe es aus dem Frauenkulturzentrum Bielefeld, damals noch cool am Zwinger gelegen, mitgenommen. Das war in Ordnung, schließlich habe ich dort mein Schülerpraktikum gemacht.

A New Wave

Pure Leidenschaft wird stets siegen

Zurück ins Heute: „No Cities To Love“ ist ein umwerfendes Album, ich möchte stetig die geballte Faust gen Himmel strecken -oder tanzen. Pure Energie, Leidenschaften, Spielfreude und Schmerz verbinden sich auf dem Werk. Was sich nicht sofort erschließt wird ab dem dritten bis vierten Hören glänzen und innere Feuerwerke zünden, das versichere ich.

Als ich die Karten für das Konzert gekauft hatte, stellte sich sofort die Frage; Wie kann ich mich bei den Musikerinnen und langjährigen Begleiterinnen bedanken für all die Kraft und Kontinuität, die sie mir über die letzten anderthalb Jahrzehnten gegeben haben? Miss O. ist bei solchen Fragen wunderbar pragmatisch und schlug vor: „Stick` ihnen was – oder noch besser, stick` sie.“ Super Idee und ein absolut entspannendes Projekt. Ich sticke gern, wenn auch viel zu selten – und eigentlich kaum solche aufwändigen Werke.

Start together

Jenni_Anna-ich
New and old friends, all Sleater-Kinney-Fans

Nach Monaten des Wartens und einem „Big day“-Countdown auf meinem Smartphone war er endlich da: Sleater-Kinney day. Aufstehen, den halben Tag arbeiten, dann Randale A vom Zoo abholen, die Gute drücken und weiter zur Halle. Wir waren um 16 Uhr die ersten (!!) – außer Jenni, einer wirklich freundlichen Finnin. Sofort kamen wir ins Gespräch und tranken einen Sekt auf S-K. Für Jenni sollte es das erste S-K Konzert in ihrem Leben werden, weitere Auftritte in Amsterdam und Paris sollten folgen.

Mein Plan ging auf (erste Reihe!) und die Wartezeit schnell um. Die erste Besucherin im Huxleys war wirklich ich, wow, ich war selbst überrascht und unendlich glücklich. Mit den Pins aus Manchester gab es für uns eine ziemlich gute All-Girl-Band als Vorband.
 

Well every day I throw a little party – Tanzen mit Sleater-Kinney

Um kurz nach neun wurde es dann dunkel, fulminate 70 Minuten Sleater-Kinney-Power euphorisierte mich so sehr, dass ich die folgende Nacht kein Auge zubekommen sollte. Passiert mir äußerst selten, zuletzt bei GaGas Monster Ball 2010.
Die Setlist war eine perfekte Mischung aus alten Perlen (Oh!, Start together, Words and Guitar, Entertain) und neuen Krachern (Price Tag, No Anthems, New Wave, Surface Envy).
Besonders gut: Bei „I wanna be your Joey Ramone“ sangen sie in Berlin „I wanna be your Kim Gordon“. In your face.

Carries Kleid fand ich nicht ganz so hübsch, Miss O. meinte, es sei ziemlich teuer und Lily Allen habe genau dasselbe getragen. Wie auch immer: Carries Gestik und Mimik waren kraftvoll; das typische Carrie-Beinchen und das vor-den-Kopf-hauen. Oh, sie hatte wirklich dunkel Augen (siehe One More Hour). Erst nach dem dritten Song durften die Fotografen in den Graben. Über Carries Angstzustände konnte man einiges Lesen und vor diesem Hintergrund merkte man auch, dass Corin Carrie die ersten Songs über sichtlich mütterlich unterstütze, immer wieder zu ihr herüber schaute und sie aufmunternd anlächelte.

Fanglass

Als sie zur Zugabe wieder auf die Bühne kamen, fasste ich mir ans Herz und reichte Carrie mein Geschenk, das Randale A und ich vorher äußerst liebevoll eingepackt hatten. Die Gitarristin nahm es sofort an, drapierte es neben dem Verstärker und bedankte sich etwas schüchtern.Die Band verfasste einen charmanten und tollen facebook-Post zu dem Präsent, den wir ganz aufgeregt um kurz vor zwei Uhr nachts lasen.

Sleter-Kinney-gestickt-fb

C.B. schenkte mir ihr Plektrum. Ich halte es in Ehren und habe sogar mit dem Gedanken gespielt, es, wie mein Pick von 1997, als Schmuck um den Hals zu tragen.

Die Setlist von Mi, 18.03.15, erstes Europakonzert von Sleater-Kinney nach der großen Pause, zufällig in Berlin:

  1. Price Tag
  2. It`s fine and now it`s mine.
    Fangless
  3. Start Together
  4. Oh!
  5. Surface Envy
  6. No Anthems
  7. Ironclad
  8. Get Up
  9. What’s Mine Is Yours
  10. Light Rail Coyote
  11. No Cities to Love
  12. One Beat
  13. A New Wave
  14. Words and Guitar
  15. Sympathy
  16. Bury Our Friends
  17. Entertain
  18. Jumpers
    Encore:
  19. Gimme Love
  20. I Wanna Be Your Joey Ramone
  21. One More Hour
  22. Modern Girl
  23. Dig Me Out

I wanna be your Kim Gordon

Corin traf jeden hohen Ton.

Bei Sleater-Kinney geht es auch nach mehr als einer Dekade um Freundschaft und Vertrauen. Drei Frauen sind durch dick und dünn – und zeitweise ihrer eigenen Wege gegangen. Jetzt spielen sie wieder unvergleichlich gut zusammen.
Ja, Sleater-Kinney sind Vorbilder für mich: Freund- und Leidenschaft, die Idee des Feminismus sowie Solidarität verbindet sie in meinem Augen.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass „Queers and Guitar“ meine eigene Version von S-K sind. Der Besuch von Randale A hatte keine Längen oder angespannte Situationen, es war vollkommen natürlich sie so nah an mir bzw. bei uns zu haben. Bei einer solchen Freundschaft wie der unsrigen fremdelt man nicht, hat sich eine Menge zu erzählen, kann sich offen begegnen und viel zusammen lachen. Ja, mir fehlen einige von meinen Herzensmenschen, die mittlerweile in ganz Deutschland verstreut sind.

Kann wie verrückt drummen und Miss. O erschrecken: Janet W.

Energie für die nächsten Tage, Wochen und vielleicht sogar Monate habe ich bei diesem Konzert sammeln können. Die Sleater-Kinney Reunion hat mich noch einmal an meine Rebel girl-Jugend zurückdenken lassen und ich werde wieder einmal weniger vergessen, wo ich herkomme und ich wo ich hin will. Fight`s over but I`ll fight on.

Ein Bonus-Feature oder auch SUPER P.S.:

Hier noch „Words and Guitar“ inkl. frenetischem Gejubel von Miss O., Randale A und mir:

 

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