Am Donnerstag waren Olga und ich bei der Berlin-Premiere von „Supersonic“, dem neuen Dokumentarfilm über Oasis. Der Film zeichnet die Anfänge der Band bis zu den legendären Knebworth-Konzerten vor über 250.000 Menschen nach.
Das Beste: Liam fucking Gallagher war im ausverkauften Kino anwesend, ebenso wie Bonehead und der Filmemacher Mat Whitecross. Moderiert wurde das Gespräch nach dem Film von Markus Kavka. Ja, der Kavka von VIVA2, auch so ein Held aus vergangenen Musikfernsehtagen.
Von Manchester bis Bielefeld – Kindheit im sozialen Wohnungsbau
Oasis haben großartige Songs geschrieben, die ich bis heute noch gern höre und rezitiere. Zu Liam und Noel hatte ich sofort eine Arbeiterkind-Verbindung.
In der Doku erzählen die Brüder, wie sich ihre Mutter von dem gewalttätigen Vater trennte und in eine Sozialbausiedlung in Manchester zog. Meine ersten 12 Jahre verbrachte ich auch in so einer Siedlung, in Bielefeld-Ost. Es war ein „Cultural Melting Point“, wie mensch heute sagen würde. Türk*innen, Tunesier*innen, Italiner*innen, russische Spätaussiedler*innen sowie Menschen aus anderen Ländern wohnten dort mit uns. „Uns“, das sind die nicht wohlhabenden Deutschen, die Unterschicht. Auch ein Heim für Obdachlose befand sich in unserer Straße.
Aufsteigen um dem Milieu zu entkommen
„In der working class musst du sehr willensstark sein, um nach vorne zu kommen.“ sagte Noel Gallagher in einem Interview mit der ZEIT.
Als Kind dachte ich natürlich nicht über soziale Milieus nach. Ebenfalls fragte ich mich nicht, warum nicht ein Mensch aus meiner Verwandtschaft ein Studium absolvierte.
Nach dem Wechsel aufs Gymnasium wurde mir nach und nach klar, dass nicht alle Kinder in Sozialwohnungen leben. Und nicht alle Mütter im Schichtdienst malochen.
Als Arbeiterkind wird man von der (akademischen) Mittelschicht beäugt. Manchmal wurde ich beim Mittagessen bei einer Schulfreundin von ihren Pädagogeneltern regelrecht über meine Arbeitereltern ausgequetscht. Es kamen Fragen wie: „Könnt ihr euch Urlaub leisten?“ oder „Bist du wirklich allein wenn du nach Hause kommst, etwa ein Schlüsselkind?“.
Vom Arbeiterkind zum Rebell
Auch in der Mittel- und Oberstufe wurde ich teilweise als schlechter Umgang angesehen.
Es könnte unter anderem an meiner dunklen Garderobe gelegen haben. Sie bestand zu einem großen Teil aus KORN-, Nirvana- und Marilyn Manson-Shirts. Die weissen Kontaktlinsen haben meinem rebellischen Image den Feinschliff gegeben.
Eines scheint mich und die Gallaghers angetrieben zu haben: Wir wollten es „denen“ zeigen. Wir sind unserem Milieu entwachsen. Die einen gründen die erfolgreichste britische Rockband der 1990er Jahre (Noel und Liam). Die andere geht als Arbeiterkind als erste der gesamten Verwandtschaft an die Uni und macht zwei richtig gute Abschlüsse (ich).
I was looking for some action – but all I found was cigarettes and alcohol
Langeweile lässt Muse entstehen. So kam Liam, zwischen zahlreichen Joints und einem legendären Hammerschlag auf den Kopf, auf die Idee einer Band beizutreten. Sein Ego und seine Stimme ließen keine andere Position als die des Leadsängers zu.
Der ältere Gallagher reiste zu diesem Zeitpunkt als Roadie mit den „Inspiral Carpets“ um die Welt. Noel ließ sich nicht lange bitten, bei der Band seines Bruders einzusteigen. „The Rain“ wurde schnell in „Oasis“ umbenannt, eine gute Wahl.
Eine Besonderheit der „Supersonic“-Doku ist, dass über „schrabbeliges“ Video-Material aus dem Off gesprochen wird. Die Mitglieder von Oasis wurden heute befragt, dennoch sind sie nicht zu sehen. Die Musiker kommentieren die Aufnahmen aus der Vergangenheit. Zusätzlich gab es Interviewsequenzen von damals, aus den 1990-Jahren, zu sehen. Ähnlich wie bei der Kurt Cobain-Doku „Montage of Heck“, wurde mit aufbereitetem Fotomaterial gearbeitet.
Für mich ging dieses Vorgehen beim ersten Schauen von „Supersonic“ auf.
„Ein hingebungsvoller Optimist“ ist Noel Gallagher nach eigener Aussage. Diese Beschreibung trifft in meinen Augen auf beide Gallagher-Brüder zu.
Im Delphi Filmpalast stand ein gut aussehender, wenngleich etwas zappeliger Liam Gallagher vor mir.
Es hat mich wirklich sehr glücklich gemacht, meinem Helden gegenüber zu stehen und ein Autogramm zu bekommen. Mit Helden aus dieser Epoche macht mensch keine Selfies. Songs wie „Champagne Supernova“, „Live forever“ und „Supersonic“ sind zeitlose Meisterwerke.
Ohne eine ordentliche Portion Optimismus, Aufstiegswillen und Mut, hätten sich Liams und meine Wege in Berlin nicht gekreuzt. Bitte einen Gin Tonic – auf uns Arbeiterkinder. Cheers!
Ist die Oasis-Dokumentation „Supersonic“ zu empfehlen?
Mein Prädikat: Sehenswert. Shirley Manson von Garbage sieht das auch so: