„Das weibliche Prinzip“ von Meg Wolitzer ist eines der Bücher meines Sommers. Der 495-Seiten Roman um die Studentin Greer Kadetsky hat mich so gefesselt, dass ich dieses Buch öfter mal anderen Aktivitäten vorgezogen habe.
Worum geht es in „Das weibliche Prinzip“?
Greer Kadetsky möchte es weiter bringen als ihre Eltern. Die Familie lebt in dem kleinen Städtchen Macopee, die Eltern verstehen sich selbst als Outsider, regelmäßiges Kiffen gehört zu ihrem Alltag. Zum Studieren verlässt Greer die Stadt und somit ihr Elternhaus und ihren Freund Cody. Die Beziehung zu Cody bleibt bestehen, er ist an einem anderen, renommierteren College angenommen worden. Durch das Studium und ihre neue Freundin Zee, die sie dort kennenlernt, kommt die junge Frau mit feministischen Theorien in Berührung. Bei einem Gastvortrag lernt sie Faith Frank kennen, die das (fiktive) feministische Standardwerk „Das weibliche Prinzip“ in den 1960ern geschrieben hat. Bis heute erfreut sich die altgediente Feministin großer Beliebtheit in intellektuellen Kreisen. Ihren ersten Job wird Greer in der neu gegründeten Stiftung von Faith antreten.
Verrat und Egoismus aber auch Loyalität sowie Feminismus im Alltagstest sind nur einige der Themen des Buches. Meg Wolitzer zeichnet (scheinbar) manifestierte Machtstrukturen in verschiedenen zwischenmenschlichen Konstellationen nach. Sie tut dies sehr anschaulich und mit hoher Präzision. Ein Plus: Mit Zee Eisenstat gibt es einen offen lesbischen Charakter im Buch.
Die Lesung von Meg Wolitzer in der Volksbühne Berlin
Als ich von der anstehenden Lesung von Meg Wolitzer hörte, musste ich sofort Karten besorgen. Olga und ich besuchen gerne Lesungen. Die Abende von und mit Zadie Smith, Margarete Stokowski, Fatma Aydemir und Benjamin von Stuckrad-Barre sind uns nachhaltig in Erinnerung geblieben.
Leeres Haus: Die Volksbühne als Provinztheater
Was hätte dieser Abend schön werden können: Eine weltklasse Literatin liest aus ihrem neuesten, gleichermaßen zeitgemäßen wie zeitlosen Roman, in Berlin. Nicht in irgendeiner Kettenbuchhandlung, sondern in einem der großen Theater der Hauptstadt, der Volksbühne Berlin. Die Realität sah anders aus: Die heutige Volksbühne hat sich als viel verschlafener und strukturkonservativer erwiesen, als es ihr Ruf für Jahre war. Chris Dercon sollte der neue Leiter werden, endlich Frank Castorff ablösen und was geschah? Dem Neuen wurde keine Chance gegeben und er wurde rüde rausgemobbt. Berlin ist eben nur eine Ansammlung von Provinzler*innen, die sich großstädtisch fühlen wollen. Darüber täuschen weder der überteuerte Filterkaffee noch die wahnsinnigen Mietpreise hinweg. Solche Provinzpossen liefern stichhaltige Beweise für diese These.
Leeres Haus, viel redender Mann und stotternde Vorleserin – und ein Promi inkognito
Kurz: Es gab grobe Fehler in der Bekanntmachung bzw. der Bewerbung der Veranstaltung. Die Volksbühne war beinahe vollkommen leer. Vermutlich hat sich der Verlag Dumont mit seiner Autorin dort eingemietet und man fühlte sich von Volksbühnen-Seite aus nicht verantwortlich. Oder ist etwa jeglich Strahlkraft der Bühne am Rose-Luxemburg-Platz erloschen? Oder hat Dumont keine Person oder keine Agentur mit der Aufgabe betraut, die Lesung in Berlin bekannt zu machen?
Um Punkt 20 Uhr betrat die Schauspielerin Anna Tismer die Bühne. Sie las die ersten Seiten von „Das weibliche Prinzip“ auf Deutsch. Entweder war es ihr künstlerischer Ansatz oder sie hat den Text vorher nicht einmal gelesen: Oft verlas sich Tismer, kam manchmal sogar ins Stottern. Florian Werner und Meg Wolitzer kamen auf die Bühne und der Gesprächspartner der Autorin wollte immer wieder zeigen, das er seine Hausaufgaben gemacht hat. Er stellte elendig lange Fragen, die die Autorin wohl von seiner Intelligenz überzeugen sollten.
Gut, dass Meg Wolitzer ein entspannter und zugewandter Mensch ist
Als die (Über-) Interpretation und Psychologisierung zu viel wurde, bat Meg Wolitzer uns lächelnd, den Saal zu verlassen, damit sie die nächsten 45 Minuten mit ihrem „Therapeuten“ sprechen könnte. Was wohl Anke Engelke gedacht haben muss? Sie saß allein im Publikum und wir haben uns gefragt, ob sie vielleicht das Hörbuch einsprechen wird? Aber vielleicht liest sie einfach nur gerne die Bücher der New Yorkerin.
Werner wollte wissen, ob sich die Autorin für den Namen Kadetsky entschieden hat, da die junge Frau eine Kadettin der Altfeministin ist? Die Antwort: Nein, reiner Zufall. Aber Wolitzer mag die Alliteration von „Famous Feminist Faith Frank“ wie sie ergänzte. Die Autorin braucht immer eine Figur und ein Thema, damit sie die ersten 80 Seiten eines Romans schreiben und danach überprüfen kann. Bei „Das weibliche Prinzip“ gab es zuerst Greer und das Thema sollten die Machtstrukturen sein, mit denen Frauen allerorts zu kämpfen haben. Und nein, sie habe die feministische Kampfschrift von Faith Frank nicht als Hintergrund-Info geschrieben, da das zu viel Zeit gekostet hätte. Die Texte von dem fiktiven Rapper Pugnayshus in „Das weibliche Prinzip“ habe sie hingegen schon geschrieben.
Entspannte Stimmung am Büchertisch
Meg Wolitzer erzählte dies locker und baute immer wieder kleine Anekdoten ein. Z.B. findet sie das Cover zu ihrem neuen Roman richtig gut gestaltet, da es nicht nach klassischer Männer- oder Frauenliteratur aussieht. Das Cover würde wie ein 3D-Bild funktionieren: Wenn man es nur richtig probiert, würde man eine Frau sehen, sagte die Autorin lachend. Die New Yorkerin glaubt an die Kraft und den Zusammenhalt von Frauen, daher hat sie ihr aktuelles Werk acht Wegbegleiterinnen gewidmet, wie sie berichtete.
Am Büchertisch war die New Yorkerin zum Plaudern aufgelegt und schrieb individuelle Widmungen in die Bücher. Das gibt es wirklich selten. Ich machte ein Foto mit Wolitzer und den zwei Anfang Zwanzigjährigen vor mir. Offensichtlich ist Wolitzer mit der Mutter einer der jungen Frau seit Jahrzehnten befreundet. Über Olgas Begeisterung freute sich Meg Wolitzer sichtlich und bedankte sich mündlich und schriftlich (Widmung!) fürs Lesen ihrer Bücher.
Es war wunderbar, die Autorin live und ganz nah zu erleben. Dieser Abend in der Volksbühne wurde einzig von Meg Wolitzer und ihrer eloquenten und besonnen Art getragen.