Berlin im Rausch – „Affe“ frei nach Peter Fox

…an der Neuköllner Oper

In Berlin brodelt es: Weihnachtsmarktidylle schützt vor Terror nicht und in der U-Bahn sollte mensch sich genau überlegen, wer wie lange angeschaut wird.
Aber Berlin ist natürlich auch die Stadt, in der fünf Tage am Stück im Club verbracht werden können. Und es ist „vegan heaven“: Es gibt vegane Donuts, vegane Cocktails und bestes vietnamesisches Essen. Wie kann das Leben dieser Stadt vertont und auf die Bühne gebracht werden? Peter Fox hat mit seinem Album „Stadtaffe“ eine gute Vorlage geschaffen.

Der Ritterschlag: Das eigene Musical

Musicals, die von Popmusik inspiriert wurden, gibt es viele.
Klar, „Mamma Mia“ ist der Klassiker, da keine*r dem Sugarpop von Abba entgehen kann. „Viva Forever“, das Spice Girls-Musical, wurde von der britischen Boulevardpresse brutal nieder geschrieben. Der deskriptive Titel „Peaches Does Herself“ von und mit Peaches, erklärt schon, worum es in dem Stück geht: Peaches und ihre Electro Clash-Songs.

Berlin – du kannst so hässlich sein

Berlin-Songs gibt es ebenfalls viele, quer durch alle Genres: Von Paul Kalkbrenner-Techno („Berlin Calling“) über Christiane Rösingers Indie-Chansons bis zu Peter Fox` eingängigen Dancehall-Pop.
Das Album „Stadtaffe“, das bis dato einzige Soloalbum von Peter Fox, ist die Grundlage des Stücks „Affe“. Die Platte erschien genau während meiner Praktikumszeit in Berlin, im Herbst 2008. „Affe“ wird seit dem 23.11.2016 an der Neuköllner Oper aufgeführt.
Peter Fox charakterisiert in seinen Texten die Stadt sehr treffend: Von den Zuhältern bis zur Euphorie durchfeierter Clubnächte. Diverse Szenen spielen sich im allgegenwärtige Dreck und Lärm der Hauptstadt ab.

Der Blick auf die Neuköllner Oper vom U-Bahn-Aufstieg an der Karl-Marx-Strasse

Mein Höllenschädel raucht und knackt

Worum geht es in „Affe“?
Der Protagonist F. (Abkürzung für Fox?) erwacht nach einer exzessiven (Party-) Nacht im Krankenhaus. Er erinnert sich an nichts, nicht mal an seinen Namen. Es umgibt ihn ein nebeliger Schleier voller Fragen: Hat ihn seine Freundin verlassen? Ist sein bester Freund wirklich gestorben? Haben sich all diesen schlimmen Dinge tatsächlich zugetragen?
Schon anhand der ersten Szene lässt sich erahnen, das nicht die voller Endorphine und Sonne strotzenden Stücke der Platte („Haus am See“, „Alles neu“) im Mittelpunkt der Aufführung stehen.
In der Inszenierung von Fabian Gerhardt und John von Düffel durchlebt F. diverse paranoide Zustände und wird von seinen Schatten aus Gegenwart und Vergangenheit gequält. Düstere Stücke wie „Kopf verloren“, „Das zweite Gesicht“ und „Fieber“ kehren leitmotivisches immer wieder.

Schwarz zu Blau

Bei Anton Weil, der F. spielt, hatte ich sofort das Gefühl, dass ich ihn auf der Bühne bereits gesehen habe. Ein Blick ins Programm schafft Gewissheit: Der ehemalige UdK-Student war schon am Maxim Gorki und in diversen Film- und TV-Produktionen zu sehen. Weil schwitzt, schreit, lacht und singt, das Getriebene des F. verkörpert er par excellence.
Achan Malonda bringt eine ordentliche Portion Street Credibility auf die Bühne. Sie überzeugt als resolute Krankenschwester ebenso wie auch als Club Girl/erste Lady.
Das Ensemble, das aus sechs Schauspieler*innen besteht, macht insgesamt einen ziemlich guten Job. Stimmlich wurden die Darsteller*innen von Laing-Frontfrau Nicola Rost gecoacht. Hat sich gelohnt, die Töne saßen.
Die Band, unter der Leitung von Fred Sauer, spielt den breiten Dancehall/Hip Hop-Sound gekonnt. Lediglich beim letzten Song, „Alles neu“, klappt es an diesem Abend mit den parallelen Einsätzen nicht zu hundert Prozent. Das zentrale Element des Bühnenbildes von Michael Graessner ist das Krankenhausbett von F. Ein echter Hingucker ist der übergroße Apple-Ladestecker, dem im Stück aber keine besondere Bedeutung zukommt.

Ich bin die Abrissbirne für die d-d-d-deutsche Szene

Ein dicker Pluspunkt für die Berliner Bühnen (hier meine ich konkret das Gorki und eben die Neuköllner Oper) ist, dass hier People of Color, kurz PoC, (Haupt-) Rollen bekommen.
Das ist mir an diesem Abend sehr bewusst aufgefallen, da das Publikum zu geschätzten 98 Prozent aus der weissen bürgerlichen Mittelschicht bestand.

Jetzt könnte bitte das Gorki ein Stück nur mit M.I.A.-Songs auf die Bühne bringen. Von Barry Kosky wünsche ich mir eine opulente Madonna- oder Cher-Revue an der Komischen Oper. Und natürlich muss Robert Wilson noch einmal ans Berliner Ensemble zurückkehren und „From Fortune to Fame – “ von und mit Lady Gaga inszenieren.
Was ich nicht brauche: Ein Stück mit Xavier Naidoo- oder Andreas Gabalier-Musik.

Fazit: Aus „Stadtaffe“ wird „Affe“

„Stadtaffe“ ist eine Liebeserklärung an Berlin und ebenso ein dunkles und zugleich janusköpfiges Portrait der Hauptstadt. Genau diese Dichotomie findet sich in „Affe“ gut umgesetzt wieder.
Weil am Ende alles gut ist (sonst ist es nicht das Ende) ist der letzte Song „Alles neu“ – auch wenn das Schicksal von F. offen bleibt.
Das Publikum, das sich zuvor in ostwestfälischer Zurückhaltung geübt hat, scheint nun aufgewacht. Als Zugabe gibt es noch einmal „Schüttel deinen Speck“.
„Affe“ ist definitiv ein „Must See“, die verbleibenden Termine sind alle ausverkauft. Meist gibt es aber noch Restkarten an der Abendkasse. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Neuköllner Oper das Stück in der kommenden Spielzeit wieder mit in den Spielplan aufnimmt.

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