Phönix aus der Asche – Warum „Panikherz“ ein großartiges Buch ist

Er ist aus dem Drogendelirium zurück und zu ihm habe ich eine ganz besondere Beziehung: Benjamin von Stuckrad-Barre.

Sein Debütroman „Soloalbum“ war die Grundlage für meine erste, umfassendere wissenschaftliche Arbeit. Meine Bachelorarbeit (2006) trägt den Titel:
„Der Pop im Pop – Eine Analyse der narrativen Konzepte in Benjamin von Stuckrad-Barres „Soloalbum“.

Popliteratur goes the world

Time flies 1998-2016
Time flies 1998-2016

Stuckrad-Barre traf seinerzeit unseren Nerv: Er zeigte, dass es in Ordnung ist, für Bands und Musiker zu brennen, auch nach der adoleszenten Phase. Ja, Pop gibt Halt und Hoffnung. Ja, Pop kann Religion sein. Von „Stuckiman“, wie Udo Lindenberg ihn nennt, fühlten wir uns verstanden. Da war noch einer, für den Veröffentlichungstermine von Platten oder Tourdaten so wichtig sind, wie der eigene Geburtstag (mein Glück: Das neue „The Kills“-Album erscheint an meinem Geburtstag).
Da war noch einer, für den Konzerte Katharsis bedeuten. Die Kapitel in „Soloalbum“ sind nach „Oasis“-Songs benannt. In „Remix“ finden sich seine Reportagen, Porträts und Kurzgeschichten von 1996-99, die sich oftmals um Popthemen und -stars wie die „Spice Girls“, die „Stones“ oder Birgit Schrowange drehen. Treffend charakterisiert er das Schaffen der „Spice Girls“ mit:

„Ein postmoderner Feminismus, der nicht mehr diskutierte, sondern diktierte.“

In seinem neuen Werk „Panikherz“ geht es um Stuckrad-Barres Kokainsucht sowie seinen Helden und Retter Udo Lindenberg. Das Buch ist eine Autobiographie, gespickt mit Anekdoten: zum Beispiel von Begegnungen mit Courtney Love, Harald Schmidt und Bret Easton Ellis. Stuckrad-Barre ist ein Emporkömmling, Aufstieg (Stadtmagazin, Rolling Stone, Plattenfirma, Bestsellerautor) und Fall (Kokainsucht mit zahlreichen Rückfällen, Magersucht, Verwahrlosung) verliefen in Rekordzeit. Einen Erklärungsansatz für den schnellen Erfolg gibt es im Buch: Der Autor ist gerne Fan-Boy und (alte) Männer scheinen männliche Bewunderer zu mögen; sie werden seine Mentoren und automatisch öffnen sich zahlreiche Türen. Nur einer, der Promoter von „The Bates“ wollte wohl mit dem Autor schlafen, akzeptierte aber das „ich muss dann mal schnell los“ sofort.

Frauen kommen wenig in den Buch vor und an dieser Stelle wird seine Erzählung auch eher unpräzise:
„Courtney Love war darauf (auf dem `Live through this`-Cover, Anm. d. Autorin) abgebildet mit einem Blumenstrauß in der Hand und einer goldenen Krone“.

Livethroughthiscover
Das ist schlichtweg falsch! Als ich die Stelle las, schlug mein Hole-Fanherz etwas schneller. Auf dem Hole-Cover, das Ellen von Unwerth fotografiert hat, sehen wir das Model Leilani Bishop.
Wäre ihm so eine Ungenauigkeit bei den „Pet Shop Boys“ oder „Oasis“ passiert? Vermutlich eher nicht, zumindest sind sie in seinen Büchern nicht zu finden.

Coke and ecstasy
You’re gonna blow your mind

Braucht man den Sampler und die Serie? Definitely Maybe.
Braucht man den Sampler und die Serie? Definitely Maybe.

Durch die Lektüre von „Panikherz“ erklärt sich so einiges, z.B. warum Stuckrad-Barre bei der Lesung in Bielefeld vor einigen Jahren stundenlang die Nase lief (Koks), wie sein Sampler „Autodiscographie“ zustande kam (ohne jedes Udo-Lied!) und wie es sich in dem Gartenhäuschen des Chateau Marmont so lebt (ziemlich gut).
Das Buch ist eine große, über 560 seitenlange Liebeserklärung an Udo Lindenberg, der nicht nur als Held seiner Kindertage in Stuckrad-Barres Leben präsent ist, sondern später als väterlicher Freund und Beschützer den Autor über alle Maße unterstützt. Hier wird die Gabe des Pop-Literaten deutlich: Er kann gut mit Menschen umgehen, sie sehr fein beobachten, teilweise seziert er ihre Persönlichkeit bzw. ihr Handeln und ihre Selbstinszenierung. Stuckrad-Barre hängt sich an Gottschalk, Ellis und Co. dran oder läuft Richard Kruspke von Rammstein zufällig über den Weg. Von diesen Begegnungen und Freundschaften berichtet der ehemalige Produktmanager sehr unterhaltsam und kurzweilig.

WachsUdo und ich
Keine Panik-Udo und ich. Im Museum und aus Wachs.

Aber nicht nur die Promi-Geschichten machen „Panikherz“ zu einer absoluten Leseempfehlung: Der Bestseller ist der Backstage-Pass zu Stuckrad-Barres Leben und Schaffen. Zwar nicht die All Areas-Version, er schweigt sich über Liebschaften und seinen Sohn aus, aber immerhin den Foto-Pass bekommt die Leserschaft ausgehändigt: Man kommt nah an Stuckrad-Barre heran, steht im Bühnengraben direkt vor dem Protagonisten. Die unkonventionelle Lebensgeschichte, die Sprache und die vielen Popbezüge machen das Buch sehr lesenswert.

Nicht nur für Fans von: Udo Lindenberg, Thomas Gottschalk oder Courtney Love.

Ich musste diese einwenig kitschig anmutende Überschrift nehmen, da mein Lieblings-Spice Girl Melanie C aka „Sporty Spice“ einen Phönix auf den Rücken tatöwiert hat und sich somit der Pop-Kreis für mich schließt.

 

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